Tales about Aviation, Coaching, Farming, Software Development

Aber man muß doch um Erlaubnis bitten

Seit ich Mitte 2012 nach Deutschland zurückgekehrt bin, nehme ich unsere hiesige Kultur aus einem etwas anderen Blickwinkel als zuvor wahr. Ich habe noch immer den Blick von draußen nach drinnen und manche hiesige Denkweise verwundert mich sehr.

Man kann doch nicht einfach so losfliegen

Gelegentlich finde ich mich in einer Unterhaltung über die Fliegerei mit Personen, die erfahren haben, daß ich selbst fliege und das Kleinflugzeug für meine Reisetätigkeit nutze. Diese Personen stellen mir dann früher oder später immer dieselbe Frage:

Kann man denn da einfach so losfliegen? Man muß doch bestimmt erst beim Tower oder so um Erlaubnis bitten.

Muß man das?

Warum denn?

So frage ich dann meist zurück. Ich lese dann im Gesicht meines Gegenüber ziemliches Erstaunen und schiebe nach:

Muß man denn an der Autobahn um Erlaubnis zum Einfahren oder Verlassen bitten?

Das sei ja etwas anderes, weil völlig normal - so oder ähnlich ist dann oft die Erklärung.

Im weiteren Verlauf des Gespräches kommen wir dann meist auf diesen Aspekt:

Es braucht doch bestimmt eine Erlaubnis, um von z.B. Köln nach Berlin zu fliegen?

Meine Gesprächspartner haben Erfahrung als Passagier der Großluftfahrt auf dem Weg in den Urlaub oder als Zuschauer auf einem Flugtag oder Besucher eines Segelflugplatzes oder kleinen Flugplatzes mit Motorflugbetrieb.

Der Unterschied zwischen Erlaubnis und Koordination

Die Fliegerei in Deutschland war bislang durch das Luftverkehrsgesetz und zugehörige Verordnungen geregelt. Darüberhinaus ist Deutschland Mitglied der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO und hält sich grundsätzlich an die international üblichen Regeln. Seit einigen Jahren gibt es zusätzlich die europäische Organisation EASA, die versucht innerhalb Europas identische Regeln für den Luftverkehr zu setzen.

Nirgends steht, daß ein Pilot zum Starten oder Landen eine Erlaubnis benötigt.

Der Pilot wird als PIC bezeichnet. Das steht für pilot in command und bedeutet, daß der Pilot allein für die sichere Bewegung des Flugzeuges verantwortlich ist. Solange der Motor läuft, bestimmt allein der Pilot was geschieht - egal ob am Boden oder in der Luft.

Auf der anderen Seite gibt es aber Fälle, in denen eine Koordination wünschenswert ist. Nämlich immer dann, wenn viel Verkehr existiert und der individuelle Pilot nicht den Überblick über die Situation haben kann. In diesem Fall delegieren die Piloten dann einen Teil ihrer Aufgabe an eine dritte Person und fragen dann bei dieser an, ob Aktion X oder Y ausgeführt werden kann.

Achtung! Ich habe jetzt gerade kann und nicht darf geschrieben. Dieser Unterschied ist wichtig.

Wenn ich auf einem kleinen Flugplatz mit nur einer Startbahn und nur wenigen Bewegungen starten möchte, dann teile ich auf der diesem Flugplatz zugeordneten Funkfrequenz mit was ich zu tun beabsichtige und tue es dann. Es mag sein, daß ein anderer Pilot oder die als Flugleiter bezeichnete Person zur Abwehr einer Gefahr mir mitteilt, daß ich etwas nicht tun soll. Aber am Ende ist die Entscheidung doch allein meine - mit allen Konsequenzen.

Auf einem größeren Flughafen mit verschiedenen Startbahnen, vielen Rollwegen und vielen Bewegungen von unterschiedlich großen und schnellen Flugzeugen, frage ich an, ob etwas, welches ich machen möchte, gerade möglich ist. In der Regel läuft dann eine festgelegte Prozedur ab, die mich als Pilot leitet. Das ist aber alles Koordination und hat rein gar nichts mit einer Erlaubnis zu tun.

Man kann das übrigens auch an den verwendeten Redewendungen deutlich erkennen.

Unkontrollierter Flugplatz

Unkontrolliert meint, daß keine Verkehrslenkung stattfindet. Es werden lediglich Informationen ausgetauscht. Das klingt dann so:

Juist Info E-ELKE guten Tag

D-ELKE Juist Info Moin moin

D-ELKE rollt von der südlichen Abstellfläche zur Startbahn 08. Kreuze die Bahn.

Der kleine Flugplatz auf der Insel Juist hat nur eine Startbahn und links und rechts davon gibt es Abstellflächen auf Gras. Entlang der Startbahn verläuft ein asphaltierter Rollweg. Wenn man nun südlich der Startbahn geparkt hat, muß man zuerst die Startbahn überqueren, um auf diesen Rollweg zu kommen.

Der erste Teil der Kommunikation per Funk ist eine etwas offiziellere Version von “Hallo” und wird als Einleitungsanruf bezeichnet. Damit soll dem anderen signalisiert werden, daß jemand eine Botschaft loswerden möchte.

Der zweite Teil ist das Entscheidende. Ich sage wo ich bin und was ich machen werde. Hat nun keiner etwas dagegen, dann tue ich es.

Habe ich in dieser Situation übersehen, daß ein anderer Pilot gerade zur Landung ansetzt, so wird mich dieser oder der mithörende Flugleiter oder theoretisch auch jemand anderes, ziemlich schnell darauf hinweisen. Schließlich könnte mein Überqueren der Landebahn während ein anderes Flugzeug darauf landet zu einem schweren Unfall führen.

Kontrollierter Flugplatz

Ein kontrollierter Flugplatz ist nun etwas ganz anderes. Kontrolliert bezieht sich hier auf die Tatsache, daß der Verkehr auf dem Boden und in der Luft koordiniert wird und die Piloten das nicht selbst machen. Jemand mit dem Gesamtüberblick sagt den Piloten wer wann wo was machen soll bzw. nicht machen soll. Dieser jemand kann die Rollkontrolle, der Turm oder eine andere Einheit sein.

Entsprechend dem vorherigen Beispiel, das eine Situation am Boden zeigte, hier die kontrollierte Variante:

Kassel Ground D-ELKE guten Tag

D-ELKE Kassel Ground guten Tag

D-ELKE general aviation apron. Request taxi.

D-KE taxi to holding point B via E4, L, B. Hold short of runway 27.

Damit hat jetzt der Pilot die Anweisung bekommen von seiner aktuellen Position (Abstellfläche Allgemeine Luftfahrt) über die Rollwege E4, L und B bis zur Startbahn 27 zu rollen und davor an einem Punkt namens B zu halten.

Das ist jetzt auch kein Hinweis mehr, sondern tatsächlich eine Anweisung. Die Rollkontrolle erwartet, daß der Pilot das jetzt umgehend ausführt oder halt sagt warum er es nicht machen kann. Die Idee ist Koordination und dazu gehört, daß alle Beteiligten verläßlich agieren. Tue es oder sage warum Du es nicht kannst - das ist die Idee dahinter.

Flugpläne

In oben erwähnten Gesprächen kommt irgendwann auch der Begriff Flugplan vor. Darunter wird sich irgendwie eine andere Art von Anmeldung, die meiner Erlaubnis beantwortet wird, vorgestellt. Man stellt sich auch vor, daß es nicht erlaubt sei einfach so - ohne Flugplan - von A nach B zu fliegen.

Grundsätzlich muß man hier zwischen zwei völlig verschiedenen Situationen unterscheiden: Fliegen nach Sicht und Fliegen nach Instrumenten.

Beim Fliegen nach Sicht werden die visual flight rules (VFR) angewandt. Voraussetzung ist, daß das Wetter so gut ist, daß der Pilot andere Flugzeuge in seiner Umgebung erkennen kann, um Zusammenstöße zu vermeiden. Und natürlich, daß er sehen kann wo er lang fliegt.

Beim Fliegen nach Instrumenten werden die instrument flight rules (IFR) angewandt. Dieses Regelwerk geht davon aus, daß der Pilot nach außen nichts sieht und das Flugzeug und die Flugroute ausschließlich mit Hilfe der Instrument im Cockpit kontrolliert. In der Vergangenheit wurde das einmal als Blindflug bezeichnet.

Fliege ich nach visual flight rules (VFR), so will grundsätzlich niemand von mir einen Flugplan sehen. Einzige Ausnahme ist der Überflug einer Grenze zwischen Staaten und da ist Gedanke die Überwachung. Auch als Passagier werde ich bei der Einreise in einen anderen Staat intensiv geprüft und man kann mir die Einreise verweigern. Dasselbe gilt für Flugzeuge, die über eine Grenze fliegen. Ein gutes Beispiel ist die beinahe Verweigerung der Einflugerlaubnis in die Schengen-Zone, die mir vor einiger Zeit passiert ist.

Fliege ich dagegen nach instrument flight rules (IFR), weil das Wetter für VFR nicht gut genug ist, dann wird zwingend ein Flugplan benötigt. In diesem Fall geht es aber wieder nicht um eine Erlaubnis, sondern um Koordination. Die Flugsicherung hat als Hauptaufgabe die Separierung von Flugzeugen, deren Piloten nichts sehen können, um Zusammenstöße zu vermeiden. Damit die Flugsicherung das tun kann, muß sie wissen wann welche Flugzeuge wo unterwegs sein möchten bzw. unterwegs sind. Der Flugplan enthält Angaben über Start- und Zielort und die geplante Route. Je nach Verkehrslage wird der Plan dann von der Flugsicherung verändert und dem Piloten werden die Änderungen per Funk mitgeteilt.

Und sollte beim Fliegen nach instrument flight rules (IFR) einmal der Funk ausfallen, dann dient der zuletzt übermittelte Flugplan als Grundlage für eine Beendigung des Fluges ohne dabei auf das miteinander reden per Funk angewiesen zu sein. Der Pilot wird einfach den Plan abfliegen und die Flugsicherung wird dafür sorgen, daß niemand in seinem Weg ist.

Selbstorganisation und selbständiges Verhalten

Einer meiner ersten Kunden nach meiner Rückkehr nach Deutschland war ein Handelsunternehmen mit lockerem Umgangston der Mitarbeiter untereinander. Die haben sich in der Regel alle geduzt, auch über Hierachiestufen hinweg, und man hätte erwarten können, daß das Betriebsklima einfach super wäre und die Zusammenarbeit untereinander prima funktionieren würde.

Es stellte sich dann aber heraus, daß unter der Oberfläche eine strenge Hierarchie maßgebend ist und trotz aller Jovialität am Ende Entscheidungen von oben nach unten einfach so getroffen werden.

An irgendeinem Punkt wurde mir in einem Gespräch dann sogar sinngemäß gesagt:

… diese Ideen von Selbstorganisation und selbständigem Verhalten mögen vielleicht in USA so funktionieren, aber das widerspricht doch ziemlich unserer deutschen Kultur …

Oh!

Ich denke noch immer darüber nach wo diese Einstellung wohl herkommen mag. Sie ist mir bisher öfters untergekommen.

Fragen nach Erlaubnis ist sehr weit verbreitet

Um wieder zur Fliegerei zurück zu kommen. An einem Wochenende mit schönem Wetter für Fliegen nach Sicht ist an unkontrollierten Flugplätzen eine Menge los in der Luft. Erstaunlicherweise fragen dann viele Piloten nach einer Erlaubnis für das Rollen, für das Starten, für die Landung, für den Anflug, für das Verlassen der Frequenz, für das Rollen zur Tankstelle, etc. Der eine oder andere benutzt sogar das Wort Freigabe, weil er irgendwie zu denken scheint, daß er ja nicht einfach so machen kann was er möchte.

Dabei ist dieses Verhalten entsprechend den Regeln an einem unkontrollierten Flugplatz völlig falsch.

Es scheint aber der hiesigen Kultur zu entsprechen. Und ein Stück weit verstehe ich es. Schließlich können Fehler gravierende Konsequenzen nach sich ziehen.

Doch wäre es nicht besser zu verstehen und zu lernen was der Unterschied zwischen dem Fragen nach einer Erlaubnis und der Teilnahme an Koordination ist?

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